Gezeiten

Ich habe tiefsinnige, schwierige Dinge geschrieben, Dinge, die vielleicht gar nicht zu kommentieren sind. Meine Worte wirken persönlich, weil sie von Menschen gelesen werden, die mich persönlich kennen. Poesie sollte etwas Anonymes sein, zumindest etwas Personloses. Denn was durch-klingt aus den Worten ist nicht zwangsläufig die Person des Autors, sondern ein mehr oder weniger imaginiertes Ich. Ich nenne es eine Projektion? Wie die Gezeiten wogen die Worte hin zum und weg vom Ich des Autors. Mal bin ich der, dem die Worte aus dem Herzen sprechen, mal nur einer, der sich vorstellt, wie es sei, ein ganz anderer zu sein. In manchen, guten Momenten schaffe ich es sogar, ein anderer zu sein.

Dabei versuche ich doch die Wogen in meinen Gedanken - das Auf und Nieder der Gefühle, die Gezeiten - in Worte zu fassen. Die Unbeständigkeit des Geistes ist dessen einzige Beständigkeit. Ich sehe die Symptome: Ich sehe, wie meine Meinung über mein geschriebenes Wort schwankt. Mal liebe ich meine Verse und in einem anderen Moment möchte ich die selben Verse vergraben und das Papier in der Erde verrotten lassen.

Die Gefühle, die ich beschreibe, sind so typisch menschlich, so allgemeingültig. Und ich beschreibe sie mit so gewöhnlichen Worten. Ich kenne keine anderen Worte, keine Sätze, die nicht meinem Stil entsprechen. Ein Deich beschränkt die Wogen meines Geistes. Ich sehe meine Gedanken, meine Gefühle, doch sie umspülen nicht die Worte, die ich schreibe.

Ich suche nach diesen ungesagten Worten, nach den Worten, die nicht zu den Gefühlen passen, nach einer neuen Sprache, die alles anders sagt. In manchen Momenten fühle ich mich dieser Sprache nahe, kann ich sie berühren, umspült wie die Flut meine Knöchel, mal flieht sie vor mir wie die Ebbe in die Unerreichbarkeit.

Ich möchte diesen Blog für etwas anderes nutzen, wirklich etwas Neues versuchen. Ich werde diese Sprache, die weder ich noch irgendeiner kennt, erkunden. Diese neuen Verse aus den alten Worten.

Kommentare

Beliebte Posts