Rauschschwaden (Stillleben IV)

Der Rauch der billigen Zigarillos brannte in seiner Nase, das Kerzenlicht beleuchtete das Zimmer nur schlecht, das elektrische Licht mochte er nicht, es war nur zweckmäßig, hatte keinen Anteil an den flackernden Geheimnissen der Kerzen, noch weniger am kalten Licht des beinahe vollen Mondes, der ungefiltert durch das offene Fenster schien.

Er blickte hinauf zu der einsamen Vagabundin, ihre Schönheit bewundernd, die er bereits in so vielen Versen gepriesen hatte, von denen es nur manche auf das Papier geschafft hatten.
Er saß allein im Halbdunkel, blickte in die Kerze, die vom Windhauch flackerte, kleine Rauchschwaden in die Luft peitschte. Die Tasten gingen zu leicht, er wünschte sich die Schmerzen in den Fingern, Vorboten einer Arthrose, wie er annahm, von Stunden des Hackens auf der Schreibmaschine. Diese Worte waren Arbeit, doch nicht die, die er jetzt in seinen Laptop eingab, sich zu oft vertippte und es keine Rolle spielte.

Das Haus verlassen hatte er gewollt, doch wenn er schon allein saß, wollte er wenigstens Sinnvolles vollbringen, Worte zu Papier bringen, wenn auch metaphorisch. Zu oft trielerte er bereits allein in sein Bier als Letzter in der Bar, nur noch sein Stuhl noch nicht für die Nacht auf den Tisch gedreht. Schöne Momente, wenn er auf die vollbusige Kellnerin schaute, wenn sie sich bückte, auf ihre farblosen Augen, wenn sie sich umdrehte, genau wissend, wo er gerade seine Augen gehabt hatte.

Heute nicht, sagte er sich -- ununterbrochen, denn der Zweifel nagte an ihm, ob es wirklich Sinn machte, nicht auszugehen. Zehn Mal in der Sekunde änderte er seine Meinung, denn wie immer waren die Worte im Kopf so viel leichter gesprochen als aufgeschrieben. Aus dieser Wolke der Gedanken mussten sich schließlich erst einmal die Tropfen kondensieren, bevor sie auf dem Papier landen konnten -- metaphorisch gesprochen.

Er zündete sich einen neuen Zigarillo an und schüttelte den Kopf. Ein, zwei, drei Züge, den Stummel in den Mundwinkel geklemmt. Auch danach formten sich die Worte nicht besser. Der Dunst vor seinen Augen machte die Welt nicht transparenter, wie er gehofft hatte.
Hustend atmete er aus, als er den scharfen Rauch zu tief zog.

Lachend tippte er weiter. Sinnlose Sätze, kleingeistig, selbstverliebt. Wie er nie sein wollte. Was er nie schreiben wollte.

Hochnebel, vielleicht eine zarte Wolke ziehen am Mond vorbei, formen einen -- Wolkenbogen (?), die Silhouette eines Farbspektrums. Negativ, denn nicht die Wolken zerreißen das Blau, sondern der schwarze Nachthimmel zerreißt die brennenden Ränder des Spektrums.
Tausende, Hunderttausende Kilometer des Beinahe-Nichts, gefüllt nur vom Schrott der Menschheit. In tausend Jahren wird die Sonne verdunkelt sein von all den vergangenen Raumstationen und Satelliten. Wir sollten unseren Müll ins All schießen. Lachen.


Die Zeit verging im Schneckengalopp. Sollte er sitzen bleiben und schreiben? Oder doch ausgehen? Oder doch nicht? So ging der Reigen, gleichförmig, unnötig. Ein paar Freunde von ihm feierten heute auf einem Acker. Es war zu weit weg, um kurz vorbeizuschauen. Wenn er jetzt losfuhr, konnte er noch rechtzeitig da sein, wenn sie alle besoffen waren. Nur er wäre nüchtern.

Hupend fuhr ein Mofa an seinem Fenster vorbei. Grölende Jungspunde, übermütig, wie er es auch einmal gewesen war. Sie tranken, während er hier saß und grübelte. Sein Kopf war heiß von den Gedanken, ein leichtes Ziehen über den Augen, das er seit Tagen nicht los wurde, doch seine Füße wurden langsam kalt ob der einfallenden Kälte, doch er wollte das Fenster nicht schließen, konnte es nicht. Die Illusion, mit der äußeren Welt verbunden zu sein, hing an den Scharnieren des alten Holzfensters.

Kondensat vor der Vagabundin, Schwaden eines kommenden Rausches, wenn die Schönheit nicht mehr klar, sondern verwaschen, undefiniert ist. Wir Menschen sind einfache Wesen, lassen uns so leicht täuschen, wollen uns täuschen, wie es scheint. Nüchtern sehen wir klar, erinnern uns, verehren die Schönheit des anderen, doch in unserem Rausch zergeht sie in Schwaden, wie der Nebel des Morgens in der Sonne.


Sein Telefon klingelte, zerriss den Satz, der kommen sollte, den Gedanken des nächsten Satzes. Es war eine Frau, die er schon Monate nicht mehr gesehen hatte, die er nicht wirklich kannte. Ein flüchtige Bekanntschaft, wenn man es so nennen mochte. Sie fragte ihn, ob er noch unterwegs sei, und als er verneinte, ob er nicht Lust hätte, dazuzustoßen, denn sie war mit drei, vier Leuten unterwegs.

Ihr Gesicht, nicht mehr klar ob der vergangenen Zeit, blitzte vor seinem inneren Auge auf. Er wollte es gerne küssen, hatte das schon gewollt, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Mehr gab es nicht in ihm für einige Sekunden.

Ja, sagte er, er würde noch dazustoßen, doch es dauere noch eine Weile, denn er müsse noch duschen.

Kein Problem, erwiderte sie, nannte einen Treffpunkt und hatte aufgelegt, ehe er noch ein bestätigendes Wort hatte sagen können.

Erst als er unter der Dusche stand, merkte er, wie schnell sein Herz pochte. Er eilte, wollte so schnell aus dem Haus sein, überscharf ihr Gesicht vor seinen Augen. Nein. Nicht ihr Gesicht, sondern, was er dafür hielt.

Sein überhastetes Handeln brachte ihn zum Straucheln. Er rutschte aus, schlug sich den Kopf an den Rand der Badewanne.

Als er nach einigen Stunden erwachte, war das Ziehen in seinem Kopf verschwunden, war einem Hämmern gewichen, das er noch nicht kannte.

Was nicht verschwunden war: das Bild des Mondes, wie er unnerreichbar stand, kalt, voller obskurer Verheißungen, doch endlich sah er auch die Narben, die die Jahrmillionen ihm eingebracht hatten, beinahe, als wollte er uns Einsamen, die wir zu sehr an ihn glauben, sagen: Richtet euer Auge nicht auf mich, sucht nach der Schönheit um euch herum. Jagt nicht dem Unzähmbaren hinterher, sondern den Rauschschwaden. Atmet sie. Lebt sie.

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